Klischees gibt es über Juan Pablo Sorin einige. Entweder ist er der intellektuelle Ballkünstler oder wahlweise ein unersättlicher Geldscheffler, der als Söldner von Verein zu Verein zieht. In Wahrheit passt er in keine Schublade.
Die echte Welt des Argentiniers auszuleuchten, war allerdings in seinen ersten Monaten beim HSV kaum möglich. Als großer Hoffnungsträger verpflichtet, konnte er erst gegen Saisonende sein großes Potential andeuten. Im Sog des Abstiegsstrudels tauchte sein Name immer mal wieder auf, besetzt mit schnell verliehenen Vorurteilen: Ein viel zu teurer, weil häufig verletzter Spieler, ein divenhafter Weltstar, der in den vergangenen Jahren selten eine Saison durchspielte.
Ein unnahbarer Mensch.
Sorin posierte freundlich mit den Fans, zog es aber vor, seine Meinung in der Kabine zu lassen. «Ich bin Fußballspieler, da redet man auf dem Platz und nicht außerhalb. Ich kann eine Partie mit Worten nicht neu erfinden», sagt Sorin. «Die Leute sehen, ob ich gut oder schlecht gespielt habe, ob ich alles gegeben habe oder nicht. Und die Antwort, die ich bei all meinen Vereinen bisher bekommen habe, war Treue.» Dabei stört es ihn wahnsinnig, wenn falsche Fakten über ihn geschrieben werden, wie zum Beispiel eine Statistik über die Anzahl seiner Pflichtspiele in seinen früheren Klubs (siehe Infokasten).
Wir sitzen in der Bibliothek des «Aqua Dome». Das passt. Mit seiner Frau Sol hat er das Buch «Grandes Chicos» (große Jungs) herausgegeben, selbst eine Kurzgeschichte beigesteuert, um mit dem Erlös zwei Schulen im Nordosten Argentiniens aufzubauen. Das Buch habe sich 13 000 Mal verkauft, und die Bauarbeiten würden in diesen Tagen vollendet, erzählt er. Die Region dort heißt Pampa de los Guanacos. «Das Wichtigste ist, dass sich die Kinder bilden können, sie können spielen, sie bekommen Essen.» Aus seinen dunklen Augen blitzt der Stolz. Seine Gefühle, seine ganze Zuneigung gehört Argentinien. «Sicher werde ich einmal dorthin zurückkehren, auch wenn wir Freunde auf der ganzen Welt haben, in Brasilien, in Spanien oder in Frankreich.»
Ob er die Verpflichtung fühle zu helfen, weil er als Fußballer sehr viel Geld verdiene? «Überhaupt nicht», entgegnet er, «die Hilfe muss von innen kommen. Wie groß das Engagement ist, kann man nicht am Geld erkennen, sondern am Willen zu helfen, zum Beispiel als Freiwilliger bei Greenpeace, als Helfer Bedürftiger oder als Lehrer in einer Schule auf dem Land. Hilfe bedeutet nicht, Geld zu geben und damit sein Gewissen zu beruhigen, sondern auch schwierige Momente zu bewältigen.»
Schwierige Momente hatte er auch beim HSV zu überstehen. «Mich auf das Thema Geld reduzieren zu wollen, bedeutet, mich nicht zu kennen. Absolut nicht. Deshalb rede ich, um den Leuten zu sagen, wer ich bin.» Nämlich einfach ein großer Junge, der Fußball spielt. Zwar interessiert er sich für Malerei, besucht gelegentlich die Kunsthalle, war schon in Hamburg im Kino und im Theater, aber wenn man ihn fragt, ob Fußball für ihn Kunst oder Business sei, vielleicht eine politische Aufgabe habe, antwortet er: «Fußball ist ein Sport. Man beginnt damit, um zu spielen, sich zu vergnügen.» Zwar kämen im Profigeschäft andere Komponenten dazu, aber im Kern bleibe das Wichtigste das Spiel, eine Mannschaft, die gut harmoniert, die zusammen einen Wettbewerb gewinnen wolle.
Sorin ist Individualist – aber kein Einzelgänger. «Nur mit der Gruppe kann ein Klub etwas gewinnen, siehe Real Madrid. Für mich ist es sehr wichtig, mich mit meinen Kollegen gut zu verstehen. Nicht nur mit den Spielern, auch mit dem Koch oder dem Zeugwart. Alle müssen an das eine Ziel denken.» In der Zeitung solle nur stehen, wie eine Mannschaft arbeite, aber nicht, was sie intern spricht. «Die Vertraulichkeit muss gewahrt bleiben. Probleme löst man zu Hause.»
Kevin Keegan hatte in seinem ersten Jahr beim HSV auch Probleme. Ob Sorin auf einen ähnlichen Durchbruch hofft? «Ich vergleiche mich nicht mit anderen Spielern. Ich habe viel zu viel Respekt vor diesem Idol.» Seine Ziele sind jedoch kaum kleiner als die des Engländers. Um einen Titel mit dem HSV zu gewinnen, sei er nach Hamburg gewechselt. An diesem Wunsch hat sich nichts geändert. Es ist einer der wenigen Momente während des Gesprächs, in dem Sorin in die Zukunft blickt. Seine Frau und er, lebten sehr in der Gegenwart: «Wir wollen den Kopf im Heute halten, zwar für das Morgen arbeiten, aber im Jetzt präsent sein.»
Deshalb spricht er auch eher ungern über seine Pläne nach der Karriere: «Das weiß ich noch nicht. Ich lebe Fußball.» Oder die hypothetische Frage, welchen Beruf er ergriffen hätte, wäre es mit dem Profitum nichts geworden: «Ich bin Fußballer, ich wäre sonst ein frustrierter Fußballer geworden.» Ein Fußballer, der selbst in der Freizeit nicht von der Kugel loskommt. «Mein liebstes Hobby ist es, mit der Fernbedienung in der Hand zu Hause Fußballspiele in der ganzen Welt zu verfolgen. Mit Freunden – oder mit meiner Frau, die anfangs wenig Ahnung von meinem Sport hatte.» Und heute eine Expertin ist? Er grinst: «Fast. Nicht ganz.»
Nur als Beobachter verfolgt Sorin derzeit die Copa America. Seine mögliche Rückkehr in die argentinische Nationalmannschaft steht am Ende seiner Gedankenkette: «Ich möchte beim HSV von Verletzungen verschont bleiben, topfit sein für den Klub. Dann kommt der Rest von alleine. Für jeden Spieler sind gute Leistungen im Verein der Türöffner für die Nationalmannschaft.»
Er wird es mit Leidenschaft versuchen und dafür, wie immer, Respekt erwarten. Wenn es nicht klappt, wird er nicht verzweifeln. «Mein großer Traum war es, das Trikot von Argentinos Juniors zu tragen und einen Tag in der Nationalelf zu spielen.» Viel mehr interessiert ihn aktuell Hamburg. «Ich will spielen, will dem Team helfen.» Und immer mehr Deutsch lernen. «Im Moment ist die Sprache noch eine Barriere. Aber diese Barriere werde ich überwinden. Genau wie ich immer Schwierigkeiten überwinden möchte.» Dazu gehören auch Klischees und Vorurteile.
Fuente: erschienen am 12. Juli 2007
Colaboración de Bernd Tobke desde Hamburgo (Alemania) especialmente a www.sabado100.com.ar